Mittwoch, 25. Juni 2014Nils Lund - Einschlag
[Essay, erschienen im Leipziger Literaten-Magazin "Fettliebe"]
Die Jungs und ich saßen mit Ben im Kibbuz an der syrischen Grenze. Ein warmer Frühlingsabend. Wir waren überrascht, wie früh und mit welcher Vehemenz die Dunkelheit hereinbrach. Ben hatte eine Flasche 18 jährigen Single Malt aus Bowmore auf Islay auf den Tisch gestellt. „Schaut: Sternschnuppen! Wünsche werden wahr!“ Jokers Ausruf war getragen von einer Überdosis Verzückung. Er war noch nicht ganz wieder bei sich. „Nein, keine Sternschnuppen, Raketen aus dem Libanon!“ Ben ignorierte den Schauder, der uns Deutsche erfasste, und schwenkte sein Glas. „Bei Whisky, der älter als 12 Jahre ist, schmeckt man mehr vom Fass als von der Destillerie. Trinkt! Die Einschläge kommen näher.“ Die Rauchigkeit des Schotten stieg mir sanft in die Kehle und versprach, sich dort lange zu behaupten. Ich betrachtete die Absurdität der Anhäufung Menschen, die ich hierher geschleppt hatte. Unsere Schnittmenge war die Vergangenheit. Eine zerstörerisch hedonistische Vergangenheit. Wir hatten uns irgendwie Mitte der 90er zusammengewürfelt. Wie im Drogenrausch. Um genau zu sein, war es ein fünfjähriger Drogenrausch, den wir gemeinsam durchflogen hatten und der uns fast verschlang. Irgendwo in der Schnittmenge der elektronischen Musikkultur im magischen Amphetamin-Dreieck Hamburg- Berlin-Frankfurt. Heute gab es nichts mehr, was wir gemeinsam hatten. Und trotzdem waren wir hier! Es fühlte sich falsch an. Ich betrachtete den Joker. Er war der dienstälteste Weggefährte in die Sackgasse. Wir begannen die Odyssee in Bremen. Der Laden hieß F-Haus, in Hemelingen. Pillen, Speed, Techno. Das war ein einziger einäugiger Wahn. Von ihm erbte ich meine damalige Freundin. Ich warb sie ihm ordnungsgemäß ab. Im launig überhöhten amphetamingetriebenen Dauerglück steckte ich in einer Afterhour-Unterredung die Claims auf sie ab, kurz nach ihrer beiden Trennung. Ich hielt weniger um ihre Hand als um ihren Sex an, holte mir die Absolution. Surreale Szenen im Stakkato-Stroboskop: Ich knie vor Joker. Halte seine rechte Hand. Küsse seinen Siegelring. Er beugt sich gnädig zu mir nieder und küsst mich väterlich auf mein Haupt, erteilt unserer Geilheit seinen Segen. Chicago-Acid lässt den Nachbrenner des Smileys zünden, den er mir zuvor als Hostie auf die Zunge legte. Ein weises Wort gibt er mir mit auf den Weg: „Viel trinken, mein Freund, immer viel trinken!“ Später erwischte ihn eine böse Dämonin und verfluchte ihn mit einer Dauerpsychose. Ich verlor ihn nach fünf Jahren aus den Augen. Wir, die außerhalb der Psychiatrie überlebten, urteilten lapidar: „Hängengeblieben, passiert! Er hätte mehr trinken müssen!“ Im Hier und Jetzt schaute ich Joker ins Gesicht. Er war mir fremd. Er sah viel zu alt aus. Er musste von seinen Psychiatrie-Freunden auf Crack gefixt worden sein. Heute kiffte er nur noch. Ungesund viel. Vor einer Woche hatten Patrick und ich ihn überrascht und aus dem letzten Entzug abgeholt. Wiedersehen nach 14 Jahren! Joker freute sich, wie er sich immer freute. Oder wie wir ihm immer Freude unterstellten - angesichts seines namensgebenden, fest in die Fresse gebügelten Dauergrinsens. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass es ein durchaus risikoreiches Unterfangen war, mit seinen „Klink“-Freunden aus einer überwundenen Unlebensphase die Resozialisierung zu feiern. Ich überzeugte die Jungs von einem tollen Trip nach Israel, in der Hoffnung, ihnen hier die Ersatzdroge Spiritualität verabreichen zu können und Patrick daran zu hindern, Joker wieder draufzubringen. Was hatte mich geritten, diese Arschlöcher mit auf die geweihte Reise ins Heilige Land mitzuschleppen? Ich musste von Sinnen gewesen sein! Patrick hatte ich weitere knappe drei Wochen vorher in Berlin getroffen. An einer beschissenen Currywurstbude. Mit gemischten Gefühlen. Der Gefühlsmix hörte auf die Namen Hass, Ekel und Angst. Er war noch immer Techno, vertickte inzwischen selbst. An Patrick war ich durch eine Radiosendung im Offenen Kanal Bremerhaven geraten. Wir gehörten zu einer Art Posse, die den Amateur-Moderator und –DJ derbst während seiner weniger als mediokren Sendungen abfeierte. Der Typ war beschissen, darin waren wir alle uns damals in stiller Übereinkunft einig. Selbst der Typ musste gewusst haben, wie jämmerlich er war. Um das auszugleichen, bezahlte er uns unsere Rauschzustände und fuhr uns zu all den Raves, Parties und Clubs, zu denen wir wollten. Und wir himmelten ihn eben an, den fetten unfähigen Sack. Fairer Deal. Nur Patrick hielt sich in diesem übel stinkenden Dunstkreis des Sack-Typen aus vermeintlich edleren Motiven auf. Sie waren tatsächlich befreundet. So musste es sein, denn Patrick hatte das Schmarotzertum überhaupt nicht nötig gehabt. Als Halb-Italiener betrieb er eine eigene Pizzeria in Bremerhaven. Mich verband mit Patrick nur ein prägender Moment. Weil sämtliche Mitglieder der Schmarotzer-Posse verhindert waren, verabredeten wir uns eines Wochenendes Anfang 1997 in Hamburg, wo unserer Meinung nach das dickste Trance-Ding des Jahres abzugehen versprach. Im Unit III in der Gasstraße gastierte der (für uns) legendäre Frankfurter Technoclub mit Talla 2XLC und DJ Taucher, unsere Heros der späten 90er. Ich reiste, zart 18jährig mit dem Zug aus Cuxhaven an, Patrick, Mitte 20, aus Bremerhaven. Stolz präsentierte mir Patrick noch am Bahnhof unser Arsenal an Stimmungsaufhellern für einen schönen geselligen Abend: ein halbes Dutzend bunter Pillen mit Herzen, Sternen, Schneemännern und den unerlässlichen Smileys und sechs kleine sorgsam gefaltete grüne Papierheftchen mit großzügig portioniertem Speed. Die erste Line zogen wir dann auch gleich verschwörerisch zwischen den Gepäckfächern am Hamburger Hauptbahnhof. Nach dem üblichen Zug über den Kiez machten wir uns auf den Weg ins Unit III. Irgendein Typ fing uns vorm Laden ab und berichtete atem- und sicher auch besinnungslos von einer Razzia, die dort heute stattfinden sollte. Die schönen Drogen, dachten Patrick und ich uns. Wegschmeißen kam selbstverständlich nicht in Frage. Also nahmen wir alles. Auf einmal. Vorm Unit. Als ich knappe vier Tage später wieder entgiftet war, schwor ich chemischen Drogen in Dosen, die Kontrollverlust versprachen, ab. Und brach mit der Posse. Ich war fertig mit der Scheiße. Bis ich nach 14 Jahren erneut auf Patrick traf. Und mich überreden ließ, Joker aus der Geschlossenen abzuholen. Und ich auf die dumme Idee kam, die Idioten mit auf meine Israelreise zu schleppen. Da ich der einzige war, der etwas mit Jerusalems multireligiöser Energie anzufangen wusste, einigten wir uns nach einem kurzen Aufenthalt auf Haifa. Und stellten fest, dass dort gerade die 90er wieder entdeckt wurden – und wir von Ben. Ein Israeli ohne Alter, der uns auf drogentriefende Raves schleppte. Allerdings war es dann ausgerechnet Joker, der jeglicher Chemie kategorisch entsagte, während Patrick und ich vier Tage in unserem gemeinsamen Sandkasten buddelten. Und nun saßen wir einigermaßen ausgenüchtert (außer Joker) auf einer Terrasse im Norden Israels. Es war das Kibbuz, in dem Ben aufgewachsen war. Viel wussten wir von ihm nicht, aber er nahm uns mit, das qualifizierte ihn als Teil der Meute. Und natürlich flößte er uns beste Whiskys ein. Und baute Joker, dessen Motorik im Laufe des Abends erschreckend abbaute, gerade die nächste Tüte mit feinstem „roten Libanesen“. „Sie schicken uns Raketen, und wir rauchen ihren Shit, das ist fair!“ Plötzlich fixierte Ben mich mit leicht skeptisch zusammengekniffenen Augen. „Das wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen, mein Freund. Wie passt du hier rein?“ Er deutete auf meine Entourage und lächelte hintergründig. „Was führt dich nach Israel?“ Patrick fixierte mich misstrauisch. Joker merkte gar nichts mehr. Ich fühlte mich ertappt. Ich fühlte mich der Lächerlichkeit preisgegeben. Selbstverständlich hatte ich mit den Arschlöchern, den bösen Geistern aus der Vergangenheit nichts mehr zu tun. Das hatte ich nie. Sie waren nur Fahrzeuge, die mich durch verdammte Lebensphasen kutschierten. „Alter, sag was!“ herrschte Patrick mich an. „Wenn wir wieder zurück sind, höre ich mit dem Rauchen auf!“ murmelte Joker. „Ich fahre morgen nach Vad Yashem,“ sagte ich. „Und übermorgen fliege ich weiter!“ „Was?“ „Vad Yashem. Holocaust-Gedenkstätte.“ „Was soll der Scheiß, Alter?“ „Da war ich früher schon mal. Echt heftig!“ „Das interessiert mich nicht. Was geht denn mit Dir? Wo fliegst Du übermorgen hin? Zurück?“ „Nein!“ „Ich hau Dir gleich eine rein, Du mieser Wichser!“ Ben beobachtete die Szenerie mit einem zunehmenden spöttischen Ausdruck in seinen Mundwinkeln. „Jungens!“ „Du hältst das Maul, alter Mann!“ Patrick war fünf vor Eskalation. Der Typ musste sich in den letzten Jahren eine verdammt geringe Frusttoleranz antrainiert haben. „Jetzt komm mal wieder runter, Patrick!“ Der Nachklang meiner Worte entsetzte mich ob meiner naiven Unvorsicht. „Das war doch klar, dass das hier nur ne kurze Episode werden würde!“ „Was war klar? Du setzt Dich doch immer ab, wenn irgendwas gut läuft!“ „Bitte?“ Patricks Augen funkelten mich blutrünstig an. Und obwohl mir keine Episode einfallen mochte, die seine Hypothese hätte stützen können, fühlte ich, dass er Recht hatte. In diesem Moment kippte Joker vornüber gen Glastisch, Ben schnappte sich mit einem wahnsinnig schnellen Reflex den Bowmore, Jokers Kopf prallte nur kurz auf die Fläche, die sofort in kleine Kristalle zerplatzte. Ich stürzte mich auf Joker und riss ihn zur Seite, bevor er kopfüber in die Scherben stürzte. „Danke, Mann!“ murmelte das Menschenbündel, das ich unter mir begraben hatte. Dann trat Patrick zu. Er trat mir in die Seite, er trat mich regelrecht vom Joker. Ich rollte mich zusammen, blieb liegen, Embryonalstellung. Schloss die Augen. Wartete auf die Einschläge. „Ich würde gern über die Siedlungspolitik sprechen!“ murmelte Joker neben mir. Und dann schlug die Sternschnuppe ein.
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